«MIT HAUT UND HAAREN AUF MEINER MISSION»

Der Erfolgsinvestor über Verteidigungs-Start-ups, die zu grosse Abhängigkeit von den USA – und die Schweizer Gründerszene.

Eigentlich ist Klaus Hommels im Urlaub, aber richtig im Urlaub ist er nie: Um Allianzen mit Vertretern zweier digitaler Verteidigungsfirmen zu schmieden, fliegt er nach München. Zum Abendessen trifft er Investoren im Hotel Rosewood, das vor eineinhalb Jahren im ehemaligen Hauptsitz der Bayerischen Staatsbank und dem angrenzenden Palais Neuhaus-Preysing, einer einstigen Adelsresidenz, eröffnet wurde. Dort nimmt sich der 57-Jährige auch Zeit für das Interview und das Fotoshooting mit BILANZ.

Klaus Hommels, Sie leiten seit 2023 den NATO Innovation Fund. Wieso steckt ein Verteidigungsbündnis Geld in Start-ups? Das wäre doch eigentlich Sache der Privatwirtschaft.

Die Idee ist über drei Jahre alt, als die Bedrohungslage noch eine andere und das Thema Verteidigung noch geächtet war. Es gab damals keine Finanzierung dafür, Start-up-Gründer in diesem Bereich konnten häufig nicht einmal ein Bankkonto eröffnen. Es war aber klar, dass bestimmte Technologien so eine starke Auswirkung auf die Souveränität haben, dass man sie auch souverän finanzieren muss. Man wollte mit der Unterstützung der NATO den Gründern zeigen: Das Thema ist gesellschaftsfähig, und es gibt eine Finanzierung dafür.

Wenn das für die NATO so wichtig ist: Warum machen die USA und Kanada nicht mit?

Ursprünglich war klar, dass die USA teilnehmen würden, da gab es jetzt halt eine politische Wende. Von daher ist es wieder offen. Kanada hat die Teilnahme schon durch das Parlament ratifiziert.

Ist das der Grund, warum es bisher nur in europäische Start-ups Investments gibt?

Ja, das ist ein positiver Nebeneffekt für Europa. Die Investitionskriterien postulieren, dass man in Firmen investiert, die ihren Hauptsitz in einem NATO-Mitgliedsland haben.

Das heisst, Investments in der Schweiz wären gar nicht machbar.

Korrekt.

Sie haben sich committet, sich auch mit einem dreistelligen Millionenbetrag aus Ihrem Privatvermögen zu engagieren. Warum?

Ein bisschen schwanger gibt es nicht. Entweder ist man in einem Thema committet, oder man ist es nicht. Bei mir war es immer so, dass ich mit Haut und Haaren auf meiner Mission war, und das bin ich hier auch. Ich mache mich seit Jahrzehnten für die technologische Souveränität Europas stark. Verteidigungstechnologie nimmt heute mehr denn je eine Schlüsselrolle ein. Und ich habe selten eine Situation gesehen, wo man derart elegant etwas patriotisch Sinnvolles mit einem ausgesprochen hohen ökonomischen Nutzen verbinden kann.

Was heisst das in Zahlen?

Wir haben in den letzten Jahrzehnten sehr viel Friedensdividende erhalten. Hätte Europa zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Verteidigung ausgegeben, wie das abgemacht war, wären das 1,6  Trillionen Mehrausgaben gewesen. Und wenn wir jetzt wie gefordert auf 3,5  Prozent gehen, sind das jedes Jahr 650  Milliarden Euro. Von denen, glaube ich, müssen 10 bis 15  Prozent in Tech gehen, speziell in die Themen Drohnen und Space.

Ist das denn realistisch?

Es ist allen klar geworden, dass weder auf Russland noch auf die USA Verlass ist. Und es kann doch nicht sein, dass 450 Millionen Europäer 340 Millionen Amerikaner um Hilfe bitten gegen 170 Millionen Russen, die nicht gegen 40 Millionen Ukrainer gewinnen können, um ihre europäischen Werte zu verteidigen. Wir müssten einfach auch mal ein anderes Selbstverständnis entwickeln! Wir sind ein grosser Wirtschaftsraum, wir haben ja alle Möglichkeiten! Wir haben nur keine entschlossene Industriepolitik, keine einheitliche Meinung und keine einheitliche Strategie. Das ist jetzt der überfällige Weckruf, um genau diese Sachen anzugehen!

Müssten denn nicht erst mal die vorhandenen Defizite bei konventionellen Waffen gedeckt werden, bevor man in irgendwelche Zukunftstechnologien investiert?

Es stimmt, die Mitgliedsländer der NATO haben in den letzten 30 Jahren 77  Prozent der Panzer abgebaut und 57  Prozent der Kampfjets. Und wir haben keine Munition: Nach vier Tagen schmeissen die Deutschen und die Engländer mit Steinen, die Franzosen nach fünf. Aber es gibt gar nicht die Industriekapazität, das schnell zu ändern. Und wenn man jetzt einen neuen Kampfjet bestellt oder eine neue Fregatte, erfolgt die Auslieferung in 10 bis 15  Jahren.

Europa ist technologisch von den USA abhängig, bei Datacentern, Software, aber auch Internetkabeln oder Satellitenlinks. Ist den Vereinigten Staaten als Verbündeten denn noch zu trauen?

Der Refrain meines Liedes als Investor der letzten Jahre ist, dass wir weder die Abhängigkeit bei Social Media noch bei Hosting noch bei anderen Themen als autarker Kontinent so hinnehmen können. Das gilt erst recht in der Verteidigung. Jetzt merken wir, dass wir erpressbar sind. Wir haben keine souveräne Defense Cloud in Europa. Wir sind abhängig beim Zahlungssystem. Wenn Mastercard und Visa abgeklemmt werden, ist es vorbei mit Geldausgeben, da diese Zahlungen auf amerikanischen Payment-Infrastrukturen laufen. Wir sind abhängig bei Low-Orbit-Satelliten, die ja nicht nur militärisch äusserst wichtig sind, wie man in der Ukraine sieht, sondern auch für die Autarkie der Automobilindustrie, Stichwort Navigation. Ich weiss nicht, ob Elon Musk als Eigentümer von Tesla so viel Interesse daran hat, das der europäischen Automobilindustrie zur Verfügung zu stellen. Das sind sehr, sehr, sehr krasse Abhängigkeiten, die wir da haben.

In der Schweiz tobt die Diskussion, ob man am Kauf des F-35-Kampfjets festhalten soll, der angeblich über einen Kill Switch verfügt, mit dem die USA jederzeit dafür sorgen können, dass die Flugzeuge am Boden bleiben.

Dänemark kauft die F-35 und könnte im Extremfall nicht mal Grönland damit verteidigen. Aber man hat ja Alternativen, mit Saab und mit Dassault. Man muss einfach «daheim» bestellen. Auch wenn die Amerikaner technologisch vielleicht besser sind. Dann ist das halt so. Dann müssen wir erst recht hier investieren, damit der vermeintliche Unterschied noch geringer wird. Wenn fünf Leute vor dem Wolf weglaufen, musst du ja nicht der Schnellste sein. Es reicht, wenn du der Zweitletzte bist.

Soll die Schweiz der NATO beitreten?

Dazu habe ich keine Meinung.

Sie sind Schweizer. Wenn sich die Frage stellt, können Sie darüber mit abstimmen.

Wir sehen einen Austausch zwischen der NATO und der Schweiz. Es ist ja nicht so, dass das getrennte Welten sind. Und wir sehen ein starkes Gefälle zwischen Estland und Portugal, was die Allokation von Verteidigungsausgaben angeht. Aber ich denke, dass es letztlich ein europäisches Miteinander sein muss. Und das gilt auch für die Schweiz. Die Schweiz muss sich fragen, inwieweit sie sich solidarisch zeigen will oder nicht.

Erleben wir mit Trumps Handelskrieg das Ende der Globalisierung?

Das ist mir ein bisschen zu schwarz-weiss. Ich glaube, das Bild der Globalisierung kriegt Risse. Die Globalisierung basiert auf Vertrauen. Und wir erleben gerade, dass dieses Vertrauen massive Rückschläge erleidet.

Wie beurteilen Sie die Schweizer Start-up-Szene im Bereich Verteidigung?

Sie kämpft oberhalb ihrer Gewichtsklasse mit Unternehmen wie Auterion und Destinus. Überall da, wo man exzellente Universitäten hat, kommt im Moment in Europa so viel Patriotismus durch, dass sich gute Gründer mit dem Thema Souveränität beschäftigen. Da macht die Schweiz keine Ausnahme.

Diese beiden Firmen haben gerade ihren Sitz ins Ausland verlegt. Schiesst sich die Schweiz mit ihrer strikten Auslegung der Neutralität ins eigene Bein?

Ich glaube nicht, dass das ein Schweizer Thema ist, sondern das ist ein europäisches Thema. Und zwar hat das etwas mit der Geschwindigkeit von Vertragsabschlüssen zu tun. Man geht dahin, wo man schnell grosse Verträge bekommt, also wo grosse Kunden sind.

Welche Rolle spielt KI in Sachen Verteidigung, welche wird sie spielen?

Bereits jetzt eine ausgesprochen dominante, weil man die gewaltigen Informationsmengen sehr schnell verarbeiten muss. Bei einer händischen Abarbeitung wäre man massiv überfordert. KI ist unerlässlich bei der Sammlung, Strukturierung, Aufbereitung und Interpretation der Daten und am Ende des Tages wahrscheinlich auch bei der Ausführung des Einsatzes.

Das heisst, am Schluss kommt der autonome Killerroboter.

Im Moment haben wir das noch nicht, obwohl es technisch natürlich möglich ist. Das ist eine ethische Frage. Die ist vermutlich einfacher zu beantworten, wenn man sich verteidigen muss. Da braucht man Automatismen, um nicht überrannt zu werden, da kann man nicht immer auf menschliches Eingreifen warten. Beim Angriff ist es vielleicht anders. Bisher hatten wir Drohnen. Demnächst haben wir Drohnenschwärme, die koordiniert angreifen. Dann hat man wahrscheinlich irgendwann Drohnenschwärme, die intelligent sind. Die können sehen und Uniformen voneinander unterscheiden und darauf basierend entscheiden, auf wen sie schiessen. Ob und wie man das regelt, ist eine ethische Frage.

Ausser der 50 Jahre alten SAP, Spotify und ein paar Fintechs wie Checkout oder Revolut sind aus Europa noch immer keine global erfolgreichen Tech-Firmen gekommen. Was muss sich ändern?

Die Geschwindigkeit der Globalisierung hat natürlich dazu geführt, dass die amerikanischen Start-ups gross geworden sind, weil sie relativ schnell mit Geld ausgestattet wurden und sehr skalierbar sind. Amazon ist gross geworden auf Kosten unzähliger lokaler Geschäfte in Europa. Airbnb ist gross geworden auf Kosten des Wohnraums in Europa. Facebook ist gross geworden auf Kosten der lokalen Netzwerke, StudiVZ und wie sie alle hiessen. Das ist alles unter dem Mantel der Effizienz passiert. Aber wir sind natürlich auch sehr empfänglich für diese Sachen, weil alles, was aus Amerika kommt, kulturell super ist, zumindest war es das bisher. Alles, was von hier kommt, wird erst mal niedergeschrieben oder mit tonnenweise Ressentiments überschüttet. Wie viele positive Artikel gab es denn am Anfang über Revolut, Spotify oder Zalando?

Der Neidfaktor ist also schuld?

Ich weiss nicht, ob es Neid ist. Aber es ist auch kulturell bedingt, dass wir den Amerikanern mehr zutrauen. Wir sind ja darauf trainiert, amerikanische Sachen cool zu finden. Das fängt schon damit an, dass die Kinder nicht mehr Heidi oder Pumuckl gucken, sondern Sponge Bob und Simpsons. Die werden die ganze Zeit über die Medien amerikanisiert. Damit entsteht eine sehr, sehr hohe Affinität, und das macht es für amerikanische Firmen deutlich einfacher, Boden zu gewinnen. Umgekehrt ist es viel schwieriger für Europäer, in Amerika Fuss zu fassen. Kommt hinzu: Wir sind liberal als Wirtschaftsraum. In den USA gibt es deutlich mehr Hürden und eine klar orchestrierte Industriepolitik.

xx Ministage xx

Ein Problem ist auch das Funding. Was muss geschehen, damit Schweizer und europäische Start- ups ihre Finanzierungsrunden nicht in den USA holen müssen und damit die Gewinne, die Steuern und eines Tages möglicherweise auch der Hauptsitz abwandern?

Ein leidiges Thema. Und ehrlich gesagt eines, das ich nicht verstehe. Das Geld für die VC-Branche kommt in Amerika historisch aus Endowments, also Stiftungen von Universitäten. Es hat sich gezeigt, dass man deutlich mehr Verzinsung erzielt, wenn man die Assets mischt, also auch in Venture Capital, Private Debt, Private Equity und Ähnliches investiert. Deshalb gibt es dort von den Stiftungen relativ hohe Allokationen in Venture, so 12 bis 13  Prozent. Dieses Modell haben dann die Pensionskassen und Versicherungen in den USA übernommen. In Europa gibt es erst mal keine Endowments. Und zweitens haben die Pensionskassen hier nicht 12, sondern 0,02 Prozent in Venture.

Sie dürften aber 5 Prozent haben, zumindest in der Schweiz.

Das ist genau das, was sich mir überhaupt nicht erschliesst! Das Argument ist immer: «Mit Renten spekuliert man nicht!» Das ist natürlich unsinnig, weil alle Statistiken belegen, dass über einen langen Zeitraum zweistellige Nettorenditen herauskommen. Ich habe das mal durchgerechnet: Wenn ein deutscher Angestellter mit 20 zu arbeiten beginnt und jeden Monat 1000 Euro in die Rentenversicherung einzahlt, bekommt er 750'000 Euro, wenn er mit 65 in Pension geht. Sein Kollege in den USA bekommt 3,5 Millionen!

Haben Sie das für die Schweiz auch durchgerechnet?

Nein, noch nicht. Es ist sicherlich etwas besser als das deutsche Modell, weil man ja unterschiedliche Säulen und damit mehr Freiheitsgrade hat. Aber wenn man das durchdenkt, ist absolut nicht nachvollziehbar, warum Europa diesen Weg nicht geht. Weil man erstens das Problem der Innovationsfinanzierung lösen würde und zweitens das Problem der Kaufkraft von Pensionären. Das ist schon seit vielen Jahren ein offenes Geheimnis, und trotzdem passiert nichts.

Welche Chancen wird die Schweizer Start-up-Szene im internationalen Vergleich in Zukunft haben?

Im Vergleich zur europäischen sind die Chancen mindestens gleichwertig. Der Ruck, der in den letzten Jahren durch die die Schweiz gegangen ist, ist gewaltig. Die Universitäten sind unstrittig spektakulär gut. Es ist ja kein Zufall, dass die ganzen grossen amerikanischen Firmen sich in Zürich niederlassen. Das ist ja eigentlich eine Lobeshymne für die Fähigkeiten der Schweizer. Wir müssen nur aufpassen, dass mit den Löhnen und Stock Options, welche die Muttergesellschaften in den USA zahlen können, nicht die besten Talente weggelotst werden. Aber insgesamt bin ich optimistisch: Es gibt zunehmend mehr Leute, die sich selbstständig machen. Die Qualität ist hoch, der Biss ist besser geworden.

2025-04-24T08:06:02Z