DER LANGE ATEM VON MECHANISCHEN UHRWERKEN

Was bei Sportlern Kondition und Training bewirken, steht und fällt bei mechanischen Uhrwerken mit ihrer Konstruktion und Bauweise: langer Atem.

Was unterscheidet einen Ultramarathon von einem gewöhnlichen, mal abgesehen davon, dass schon die gewöhnliche Distanz von 42,195 Kilometern vielen unvorstellbar lang erscheint? Ein Ultramarathon ist weitaus länger: 170 Kilometer beim Ultra-Trail du Mont-Blanc, 217 Kilometer beim Badwater Ultramarathon in Kalifornien. Da wird bisweilen nicht mehr von Stunden, sondern von Tagen gesprochen, welche die Sportler unterwegs sind.

So ist das auch bei Armbanduhren mit mechanischen Uhrwerken: Während Standardkaliber über eine Gangautonomie – also die Dauer vom Vollaufzug bis zum Stehenbleiben der Uhr – von etwa 35 bis 45 Stunden verfügen, spricht man bei den Rekordhaltern in Sachen Ausdauer nicht von Stunden, sondern von Tagen. Die Lange 31 von A. Lange & Söhne hält – der Name sagts – 31 Tage. Das schafft auch The Quenttin von Jacob & Co. – dank sieben nebeneinander auf einer Achse angeordneten Federhäusern.

In solchen Rekorden steckt die Arbeit von Generationen von Uhrmachern. Doch vor einem Blick auf ihre historische Leistung eine kleine Begriffsklärung zu Gangdauer und -autonomie: So bezeichnet man jene Zeitspanne, die ein Uhrwerk autonom laufen kann, ohne dass Energie zugeführt wird. Insoweit sind sich alle einig. Mittlerweile eingebürgert hat sich allerdings der Begriff Gangreserve, obwohl Puristen ihn für nicht korrekt halten. Denn ursprünglich verwendeten Fachleute die Bezeichnung Gangreserve lediglich für jene Frist, die einer Uhr zusätzlich zur normalen Gangdauer hinaus zur Verfügung steht.

Uhrmacher wollen seit je möglichst viel von dieser Extrazeit zur Verfügung stellen und konzentrierten sich schon auf ein Bauteil des Uhrwerks: die Zugfeder. Sie ist der Energiespeicher des Werks. Ein flaches Metallband mit Eigenspannung, gegen die es beim Aufziehen der Uhr aufgewickelt wird. Im Bestreben, in die ursprüngliche Form zurückzukehren, treibt die Zugfeder das Uhrwerk an.

Was macht ein findiger Tüftler? Er richtet sich nach dem Prinzip: Viel hilft viel.

Was macht ein findiger Tüftler, der ihre Wirksamkeit verbessern will? Er richtet sich nach dem Prinzip: Viel hilft viel. Also wird die Zugfeder verlängert, verstärkt oder verdoppelt. Dass das funktioniert, stellte schon Altmeister Abraham-Louis Breguet (1747–1823) mit einer Taschenuhr mit zwei Federhäusern unter Beweis. Auch das Acht-Tage-Werk der Taschenuhr Hebdomas, Ende des 19. Jahrhunderts von Irénee Aubry aus La Chaux-de-Fonds entwickelt, setzte auf mehr: eine so lange Zugfeder, dass ihr Federhaus den gesamten Werkdurchmesser einnahm. Die Schwäche dieser Konstruktion war allerdings eine unpräzise Zeitanzeige. Denn sobald die Kraft im Federhaus weniger wird, verringert sich das Drehmoment vom Federhaus bis zur Unruh. Die Folge: Die Präzision leidet.

Das zeigt das Dilemma, in dem sich jeder Uhrmacher beim Streben nach höherer Gangautonomie befindet. Denn es gilt, ein Plus an Kraft nicht durch ein Minus an Präzision zu erkaufen.

Auch bei der Handaufzugsuhr Lange 31 mit ihrer Rekord-Gangdauer von 31 Tagen und zwei Federhäusern gab es das Problem zu lösen, dass der Antrieb über die ganze Laufzeit konstant sein muss. Die Uhrmacher aus Glashütte erfanden dafür ein sogenanntes Nachspannwerk. Es spannt alle zehn Sekunden eine zusätzliche Spiralfeder, die dann dafür sorgt, dass das Werk mit konstanter Energiemenge versorgt wird. Die Lange 31 hat bei Kennern und Sammlern Kultstatus erreicht.

Die Idee von mehreren Federhäusern in einem Werk haben auch andere Uhrmacher genutzt: Das Handaufzugskaliber 13R3A von Blancpain mit drei Federhäusern verfügt über eine Gangautonomie von acht Tagen; es wird derzeit in Unikaten der Kollektion Métiers d’Art verbaut. Audemars Piguet kommt mit mehreren Federnhäusern im Kaliber 2954 der Royal Oak Concept Flying Tourbillon GMT auf fast zehn Tage Gangdauer. Diese Frist erreichen auch das Panerai-Automatikkaliber P.2003 der Luminor 1950 10 Days GMT mit drei Federhäusern sowie das Handaufzugswerk HUB1201 von Hublot der Big Bang MECA-10 mit zwei Federhäusern. Bei IWC bescheren zwei Federhäuser dem Kaliber 52011 in der IWC Portugieser Automatic 42 satte sieben Tage Gangdauer.

Bei Chopard sind es vier Federhäuser, die das Handaufzugskaliber L.U.C 1.98 mit Energie für neun Tage versorgen. Diese Konstruktion heisst Quattro-Technologie, ist patentiert und feiert dieses Jahr ihr 25-Jahr-Jubiläum. Aus diesem Anlass wird Chopard die inzwischen vierte Generation der Quattro präsentieren. Das Werk wurde überarbeitet, die Gangreserve auf die Rückseite gelegt und mit einem 39 Millimeter grossen Gehäuse kombiniert: «Das Uhrgehäuse ist wieder kleiner geworden – back to the roots!», erklärt Karl-Friedrich Scheufele, Co-Präsident von Chopard. «Denn Uhren mit kleinerem Durchmesser sind wieder sehr gefragt.»

Genuss Handaufzug

Chopard nutzt die Konstruktion zugunsten der langen Gangautonomie so konsequent wie keine andere traditionelle Manufaktur, verbindet sie sogar mit Komplikationen wie einem Tourbillon. «Die L.U.C Quattro ist seit ihrer Vorstellung vor 25 Jahren der Klassiker der L.U.C-Kollektion», erklärt Scheufele. Er ist sich der Aufmerksamkeit von Kennern sicher: «Ein Uhrenliebhaber beschäftigt sich wirklich mit der Uhr. Für ihn ist das Aufziehen des Werks einmal pro Woche ein Ritual, das er geniesst.»

Der Vorteil, eine Uhr nur einmal pro Woche oder gar einmal im Monat aufziehen zu müssen, liegt auf der Hand – ist aber für viele unerschwinglich. Zudem sind Uhrenliebhaber durchaus auch mit weniger zufrieden: Weil einer gewöhnlichen Automatik- oder Handaufzugsuhr nach rund 40 Stunden die Puste ausgeht, ist es schon ein Plus an Komfort, wenn eine Uhr ohne Energienachschub ein ganzes Wochenende durchhält.

Das hat Oris in einem Preisbereich geschafft, der durchaus als demokratisch angesehen werden kann: Uhren mit dem hauseigenen Automatikwerk Calibre 400, das mithilfe von zwei Federhäusern fünf Tage Gangautonomie bietet, sind ab 3400 Franken erhältlich. «Das Calibre 400 erfreut sich starker Alleinstellungsmerkmale», ist Oris-Co-Chef Rolf Studer stolz. Mittlerweile kommt es in fast allen Uhrenfamilien der Marke zum Einsatz und ist beliebt: «Gerade für diejenigen, die eine längere Gangreserve und die Vorzüge eines Manufakturkalibers schätzen, sind die Modelle mit dem Calibre 400 spannend.»

In den Kollektionen von Swatch-Group-Marken ist die 80-Stunden-Gangautonomie verbreitet. Sie basiert auf dem bewährten Automatikwerk ETA 2824-2 und findet sich in der Kaliberserie ETA C07.xxx. Für dieses Kaliber wurde die Unruhfrequenz reduziert, Federhaus und Hemmung wurden umkonstruiert. Das Werk wird von ETA in verschiedenen Ausführungen hergestellt, von eher schlichten Versionen mit Polymer-Komponenten bis hin zu aufwendigeren mit Siliziumteilen. Je nach Marke, bei der es zum Einsatz kommt, heisst es anders: H-10 bei Hamilton, Kaliber 80 bei Mido und Powermatic 80 bei Tissot.

In der günstigen Ausführung sind ausdauernde Uhren bereits für rund 600 Franken erhältlich. «Eine überdurchschnittliche Gangdauer ist ein absolutes Verkaufsargument», sagt Helen Steck, die bei Watches of Switzerland in Luzern im Verkauf tätig ist, «Kunden finden es cool, wenn man eine Uhr übers Wochenende liegen lassen kann.»

Wer die Nummer eins ist bei den Langläufern? Die Antwort ist leicht: Es ist die Lange 31. Allerdings ist ihr langer Atem für die meisten Menschen so unerreichbar wie ein Ultramarathon. Erstens wird der Zeitmesser nur in geringen Stückzahlen hergestellt, zweitens kosten sie ein Vermögen. Anderes gilt bei Langläufern von Oris oder Tissot. Die sind für jede und jeden erreichbar.

2025-04-25T07:21:31Z